14. Juni 2011
„Hip Hop ist eine Schule. Ihr seid die Schüler, ich bin der Lehrer.“
Gerrit Sarstedt und Dominic Pollmann im Interview
Die Musikindustrie hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sinkende Verkäufe, illegale Downloads und Retortenstars aus Castingshows haben zu dem Negativbild dieses einst umsatzstarken Segments der Unterhaltungsindustrie beigetragen. Nach der aktuellen Ausgabe der Spex zu urteilen, gibt es mit Lady Gaga nur noch einen Superstar, auf den sich Teenager, Kulturphilosophen und die Musikindustrie aus unterschiedlichsten Beweggründen weltweit einigen können. Dennoch ist die gegenwärtige Musik reichhaltiger denn je. Und dies dank dieses jetzt schon altmodisch anmutenden Begriffs Web 2.0. Jugendliche konsumieren nicht nur, vielmehr verlassen sie ihre Rezipientenhaltung, produzieren ihre eigene Musik, veröffentlichen diese auf den unterschiedlichsten Kanälen im Internet, schaffen Netzwerke und treffen dann auf den Konzerten ihre Fans.
Künstler, die mit ihrer Musik im Internet und in Hildesheim ein großes Publikum erreichen, gibt es auch an unserer Schule. Gerrit Sarstedt, Dominic Pollmann, angehende Abiturienten der Berufsoberschule Klasse 13, und Jonas Schönleber, der bereits 2010 seinen Abschluss gemacht hat, haben sich für die Kunstform Hip Hop entschieden, um ihre Welt in Reime zu fassen. Zahlreiche dieser Tracks sind von dem Hildesheimer Produzenten und Videokünstler Kolja in Szene gesetzt worden. Gerrit Sarstedt und Dominic Pollmann treten auf Burg Steuerwald am 23. 06.2011 auf dem Schulfest zum 50jährigen Bestehen unserer Schule auf. Im Interview erzählen sie unter anderem, ob sie an Gott glauben, welcher ihr persönlichster Track ist und warum Hip Hop vergleichbar mit Schule ist.
Evrs: Gerrit, seit wann machen Sie Rap-Musik?
Gerrit: Ich habe 2007 angefangen zu rappen. Gemeinsam mit Shakai, einem Freund, habe ich begonnen Musik aufzunehmen und diese 2008 im Internet veröffentlicht. Seit über einem Jahr drehe ich mit Kolja Videos zu meiner Musik und das auf einer professionellen Ebene.
Evrs: Wieso haben Sie sich für das Genre Rap-Musik entschieden?
Gerrit: In der Gegend, in der ich wohne, haben bereits viele gerappt. Und dann habe ich es auch einfach versucht. Zudem höre ich Rap-Musik, seitdem ich überhaupt Musik höre. Damals war ich neun Jahre alt. Mit elf Jahren hat mich Eminems „The Slim Shady LP“ begeistert.
Evrs: Wenn man Ihre Musik hört, hat man den Eindruck, dass Sie eher vom amerikanischen Rap beeinflusst sind, besonders in Ihrem letztjährigen Video „Frei wie ein Adler“.
Gerrit: Ja, stimmt. Ich höre hauptsächlich amerikanischen Rap.
Evrs: Dominic, Sie scheinen eher vom Deutschrap beeinflusst zu sein.
Dominic: Ja, angefangen habe ich in der 8. Klasse. Jonas Schönleber und ich waren mit der Albertus-Magnus-Schule auf Klassenfahrt. Damals gab es bereits die Deutschrapwelle mit Aggro-Berlin und Bushido. So ganz unser Ding war diese Musik aber nicht. lrgendwann saßen wir bei Jonas und haben gesagt: Was die können, das können wir auch. Jonas und ich haben auch nicht gleich angefangen Musik aufzunehmen. Wir haben uns ins stille Kämmerlein gesetzt und ein Jahr lang nur Texte geschrieben. Erst dann haben wir uns ein Aufnahmeprogramm besorgt und ein Mikro gekauft. Wir wollten erst richtig gut werden, bevor wir etwas herausbringen. Seit der 9. Klasse nehme ich die Texte, die ich schreibe, auch auf.
Evrs: Mittlerweile gibt es von Ihnen eine große Anzahl an veröffentlichten Tapes.
Dominic: Die, die man erwähnen sollte, sind zum einen „Back to the roots“ mit Jonez (Jonas Schönleber). „Armageddon“ habe ich von dem – meiner Meinung nach – einflussreichsten Rapper Hildesheims produzieren lassen: Larry Läng. Larry, Gerrit und Jonez sind auf diesem Album Gastrapper. Mein aktuelles Tape heißt „Deutschraps Mephisto“, mein bisher professionellster Output.
Evrs: Mir ist an Ihren Texten aufgefallen, dass Sie auch gewisse Werte, die in der Gesellschaft allgemein Anerkennung finden, betonen. Beispielsweise, wie wichtig Arbeit und Fleiß sind.
Gerrit: Ganz klar, Musik ist hartes Training. Der eine geht zum Fußball, wir rappen. Natürlich freut man sich, wenn es gut ankommt, aber im Endeffekt macht man es für sich. Wenn ich manchmal nach Hause komme und es ist keiner da, mache ich einen Beat an und rappe über den Tag. Das ist auf der einen Seite Training, andererseits braucht man es für sich.
Evrs: Anerkennung bekommen Sie sicherlich auch durch die Zusammenarbeit mit befreundeten Rappern.
Gerrit: Im Endeffekt bin ich mit Kolja und Shakai aufgewachsen. Wir haben beschlossen, zu dritt diesem Hobby nachzugehen. Dann kam ich mit Dominic in eine Klasse und wir haben gemerkt, dass wir der gleichen Leidenschaft nachgehen. Wir haben uns dann gegenseitig beeinflusst und fanden die Sachen des anderen gut und haben für uns beschlossen zusammenzuarbeiten. Kolja, Shakai und ich sind die Hiltown Connection. Wenn wir mit anderen auftreten, beispielsweise Dominic und Jonas, sind wir aber eine gemeinsame Gruppe.
Evrs: Suchen Sie bewusst die Öffentlichkeit?
Gerrit: Das macht man automatisch. Wir wollen nach außen treten. Wir möchten wissen, wie das ankommt.
Dominic: Beispielsweise werden wir in diesem Jahr in Hamburg auftreten.
Gerrit: Über einen Wettbewerb habe ich eine Theaterpädagogin kennengelernt, der mein Tape gut gefällt. Sie hat uns nach Heidelberg eingeladen. Auch in Hildesheim haben wir beispielsweise eine Anfrage vom Mehrgenerationenhaus, da den Jugendlichen dort unsere Musik gefällt. Unsere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit entwickelt sich weiter. 2010 war sehr wichtig für uns, 2011 werden wir viel machen. Wir investieren auch immer mehr in unser Equipment.
Evrs: Gerrit, sie haben im letztes Jahr an einem Talentwettbewerb teilgenommen, der von Kool Savas initiiert wurde.
Gerrit: Kolja und ich haben zu dem Savas-Track „Sky ist the limit“ ein Video gedreht und dieses eingeschickt. Eine Woche Berlin inklusive Videoproduktion war der Preis, den wir gewonnen haben. Mit weiteren Preisträgern haben wir dann das offizielle Savas-Video gedreht. Ich habe dort als Schauspieler mitgemacht, Kolja durfte das Video schneiden.
Evrs: Gerrit, Sie rappen in einem Text: „Hip Hop ist eine Schule, ihr seid die Schüler, ich bin der Lehrer.“ Warum ist Hip Hop eine Schule?
Gerrit: Man muss die deutsche Sprache beherrschen, um rappen zu können. Man lernt auch, sich auf andere Art auszudrücken.
Dominic: Hip Hop ist auch deshalb eine Schule, weil man Fortschritte sieht, manchmal gibt es natürlich auch Rückschläge. Das ist in der Schule genauso. Manchmal kriegt man eine gute Zensur zurück, manchmal eine schlechte. Manchmal hat man einen guten Tag, an dem man alles versteht, manchmal aber nicht. Wir versuchen auch dem Nachwuchs etwas beizubringen. Jonas und ich fördern beispielsweise zwei junge Talente. Wir wollen das weitergeben, was wir wissen. Denn als wir angefangen haben, brauchten wir Unterstützung. Wir wären nicht soweit gekommen, wenn jeder es für sich selber gemacht hätte. Ein großer Fortschritt für mich war es, bei Lärry Läng aufzunehmen. Ein Rapper, der bestimmt schon seit über 15 Jahren Hip-Hop in Hildesheim macht. Er war eine große Hilfe und das ist ja auch ein Schuleffekt. Man lernt von anderen was.
Evrs: Gehört Hip-Hop in die Schule? Sollen wir Lehrer mit Ihnen über Raptexte sprechen?
Gerrit: Warum nicht? Wir haben beispielsweise bei Herrn Hövemann über Harris Track „Nur einen Augenblick“ gesprochen. Ein Text, der sich mit dem Thema Integration auseinandersetzt.
Evrs: Gehören Rap-Texte in den Deutschunterricht? Es gibt beispielsweise vom Reclam-Verlag einen Band, der Rap-Texte enthält.
Dominic: Der Lehrer muss sich dafür interessieren. Es bringt nichts, wenn man merkt, dass der Lehrer sich nur grob mit der Materie auseinandergesetzt hat. Wenn es den Lehrer wirklich interessiert, kann man das machen.
Evrs: Es gibt auch viele Rapper, die nicht mehr das Hip Hop-Image verkörpern, sondern alternative Musikformen in ihre Kunst einfließen lassen. Casper ist beispielsweise jemand, der andere Stile mit einfließen lässt.
Gerrit: Das ist auch cool, kann man machen. Hip Hop bedeutet nicht immer ein Gangster zu sein. Hip Hop hat ganz viele Einflüsse. Ich beispielsweise höre gern Jazz , Reggaeton oder kubanische Musik.
Evrs: Man kann auch jede Musikrichtung als Beat verwenden.
Gerrit: Genau. Der Hip Hop-Musik sind keine Grenzen gesetzt.
Evrs: Sie gehen beide in Ihren Texten auf Glauben und Religion ein. Z.B. Gerrit: „Du hast Talent, Gott hat dir was besonderes geschenkt. Ich weiß Du da oben, gibst mir noch Zeit.“
Gerrit: Ich glaube an Gott, bin religiös und das lasse ich einfließen. Alles was in mir vorgeht und was ich bin, wird Teil meiner Texte.
Dominic: Auch ich bin religiös. Für mich ist nicht der sonntägliche Kirchgang wichtig, ich muss nicht in die Kirche gehen, um zu bitten. Ich sag auch manchmal danke, wenn mir etwas Gutes passiert ist.
Evrs: Einen Song von Ihnen fand ich ziemlich stark: Und zwar „Rückblick“. Es geht um die Familie, und vor allem auch um die Rolle des Vaters.
Gerrit: Es ist ein privater Track.
Dominic: Der privateste, den wir je gemacht haben.
Gerrit: Es ist wichtig, dass wir dazu stehen. Ich bin total stolz auf den Track, weil ich auch das erste Mal gesungen habe.
Evrs: Wie ist der Track entstanden?
Gerrit: Wir waren bei Lärry Läng, haben eine Beat-CD genommen, drei Tracks zur Auswahl gehabt und den Track ausgewählt. Der Beat leitet uns manchmal. Wir haben uns dann schnell auf ein Thema geeinigt, weil wir Parallelen haben. Wir sind ohne Vater aufgewachsen.
Evrs: Hat der Beat den Text beeinflusst?
Gerrit: Der Beat hat uns geleitet, er ist auch tiefsinniger, deeper. Ich habe mir gedacht, dass es unsinnig ist, immer einen Sänger anzufragen, damit dieser den Refrain singt. Diesmal habe ich den Refrain schnell selbst eingesungen.
Evrs: Ganz wichtig ist auch der Rückblick auf die eigene Kindheit. Ihr gemeinsamer Track „Morgen wird besser“ gefällt mir besonders gut.
Dominic: Diesmal war das Thema zuerst da und dann kam der Beat.
Gerrit: Es ist vor allem ein Hildesheim Track. Hildesheim ist für mich oft eine dunkle Stadt. Vieles ist hier sehr depressiv. Wir haben uns von unserer eigenen Umwelt in Hildesheim inspirieren lassen.
Evrs: Gerrit, sie haben in einem anderen Track gerappt: „Das ist weder Hamburg noch Berlin, ich bin in Hildesheim geboren.“ Hamburg und Berlin sind ja neben Stuttgart und Heidelberg historisch gesehen die großen Deutschrapmetropolen.
Gerrit: Ich habe diesen Text geschrieben, damit Hildesheim auf die Karte gesetzt wird. Sonst geht es immer nur um die Großstädte. Aber hier ist einiges im Kommen.
Dominic: Mir ist wichtig, über meine Herkunft zu schreiben. erkuHHerIch bin teils in Bockfeld, teils in Itzum aufgewachsen. Hier kenn ich jede Ecke. Man kriegt mit, wenn alte Leute gestorben sind. Das gibt es nicht in Großstädten.
Gerrit: Es ist es auch eine Hassliebe. Man sagt, man möchte hier weg. Und dann wenn man woanders ist, will man wieder zurück. Es ist auch schön hier.
Evrs: Wie kommt Ihre Musik bei Mitschülern an?
Gerrit: Unsere Mitschüler unterstützen uns, sie kommen auch zu unseren Konzerten.
Evrs: Gibt es Reaktionen seitens der Lehrer?
Gerrit: Von Ihnen öfters. Herr Hövemann fragt: „Könnt Ihr damit Geld verdienen?“ Herr Ehbrecht, Frau Silzer, Frau Schnelle zeigen sich immer interessiert. Frau Beste hat sich in der Pause ein Video von uns angeschaut. Es kommt auch bei den Lehrern gut an.
(Text: Daniel Prüfer, Interview: Gerrit Sarstedt, Dominic Pollman, Daniel Prüfer. Weitere Infos über Gerrit Sarstedt gibt es auf www.hiltown-connection.de und über Dominic Pollmann (aka Devil) auf http://www.myspace.com/devildew)